Dass uns die vergangenen Monate geprägt haben, ist unbestritten. Wo und wie findet Veränderung jetzt statt und worin liegt die Chance, dass es besser wird, als es vorher war?
Wir mussten in letzter Zeit viele Themen allein bewältigen, oder haben uns zumindest sehr allein gefühlt, in der Familie, im Job. Es hat der Rückhalt aus der Gesellschaft gefehlt, zumindest das gemeinschaftliche Gefühl. Das „wir“ als Gesellschaft. Aber wir müssen einen Weg zurück in dieses gemeinschaftliche Denken finden, zu unseren Pflichten als Teil eines Ganzen, denn sonst kann es nicht funktionieren. Unsere Freiheit bekommen wir nur dann zurück, wenn wir uns auch unserer Pflichten bewusst sind. Ich muss mich verlassen können, dass ein anderer sich an die gleichen Grenzen, Werte und Regeln hält, dass er sich im Rahmen bewegt. Da fällt mir ein Spruch meiner Eltern ein, der mich sehr geprägt hat: „Was du nicht willst, das man dir tu‘, das füg‘ auch keinem andern zu.“ Das wäre eine gute Regel für ein harmonisches Zusammenleben, nicht nur im kleinen Umfeld. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir auch gesellschaftlich unsere Werte überdenken müssen und jetzt die Chance nützen sollten, uns neu auszurichten. Immer besser, schneller und schöner zu sein als ein anderer ist einfach wahnsinnig anstrengend – darauf zu verzichten ist für mich wahre Freiheit.
Ich wünsche mir ein neues Bewusstsein für Qualität. So etwas wie Technik-Pairing. Produkte müssen wieder reparierbar sein. Eine langfristig funktionierende Hardware sollte mit variabler Technik bestückt werden, dann kann man einzelne Teile, oder Verschleißteile ganz einfach austauschen oder auch neue Software einspielen. Die Anschaffung darf schon was kosten, aber dann müssen die Ersatzteile auch lange erhältlich und ein technisches Upgrade möglich sein. So etwas sollte im Sinne des Green Deals an Bedeutung gewinnen. Transparenz ist wichtig. Es muss klar sein, wer hinter den Produkten steht, wer die Ersatzteile herstellt, wie Lebensmittel produziert werden und Tiere aufwachsen.
Greenwashing ist kurzfristig keine Lösung, langfristig jedoch schon. Wenn ein Schüler lernt und seine Aufgaben gewissenhaft macht und ein anderer schreibt die Lösungen einfach ab, sind im Ergebnis beide super. Kurzfristig mag das so sein, aber auf lange Sicht entsteht ein Defizit und erzeugt Druck. Dann muss auch der vermeintlich gute Schüler sich das versäumte Wissen aneignen, um weiter mithalten zu können. Und das ist der Punkt, wenn auch große Unternehmen ihre Nachhaltigkeit tatsächlich umsetzen müssen, dann müssen sie echte Ergebnisse liefern, damit sie zukunftsfähig bleiben. Und dann ändert sich auch tatsächlich etwas.
Jungunternehmer sollen langsam wachsen können. Ich sehe die Kultur der Start-ups sehr kritisch. Da werden Unternehmen aus dem Boden gestampft, gefördert, weil die Geschäftsidee gut ist und durch die schnelle Verfügbarkeit von Kapital bleiben Fehler in der Organisation unbemerkt. Das Geschäftsmodell ist oft noch unausgereift hätte aber durchaus Potenzial. Dann geht das Unternehmen an die Börse, kurzfristig fließt noch mehr Geld und dann verschwinden diese Unternehmen wieder schnell vom Markt. Hat doch nicht funktioniert, heißt es dann. Da wird unglaublich viel Geld vernichtet und gute Ideen regelrecht verheizt. Wir brauchen aber gute Ideen und Innovationen. Junge Unternehmer müssen an ihrer Idee arbeiten, diese verändern, verbessern und diesen Prozess auch zulassen, damit Innovation eine Chance hat zu wachsen und um sich zu etablieren, weil Veränderung laufend stattfindet. Sinn und Nutzen sind dabei die Basis. Nicht alles was schnell wächst erzielt eine Nachfrage. Kleinstrukturierte Unternehmen sind da im Vorteil, sie sind flexibel und anpassungsfähig. Das brauchen wir. Daher auch meine Befürwortung des bedingungslosen Grundeinkommens. Es soll keine totale Absicherung sein, sondern eine Art Unterstützung, damit wieder vermehrt Unternehmensgründungen stattfinden und gute Ideen Zeit haben auszureifen, und langfristig erfolgreich werden können.
Es scheint, dass die Wirtschaft derzeit nur durch Konsum gut funktioniert. Kontrollierte Zerstörung, damit neuer Bedarf entsteht. Welch ein Irrsinn. Besitz um jeden Preis ist wirklich nicht erstrebenswert, Raffgier ist einfach unsexy. Drei Fernseher und zwei Autos decken keinen echten Bedarf. Angebote und Sonderaktionen vermitteln den Eindruck ein gutes Geschäft gemacht zu haben, dabei mache ich das viel bessere Geschäft, wenn ich auf einen Kauf verzichte. Trotz 70% Preisnachlass spare ich sogar 100 %, wenn ich den Deal gar nicht mache. Viel wichtiger als Konsum ist doch die Entdeckung unserer Talente. Was kann ich gut und was mach ich gerne, darauf muss man sich besinnen. Wir brauchen viele Talente, damit Innovation entstehen kann. Es gibt gerade jetzt so viele Aufgaben zu lösen, sozial und ökologisch. Jeder hat ein Talent, das müssen wir fordern und fördern. Nur zu konsumieren, ist sicher kein Talent!
Hinschauen und erkennen, das ist in nächster Zeit unsere größte Aufgabe. Denn vieles ist schon da, wir sehen es nur nicht. Es wurde in den letzten Jahren sehr viel gebaut und es war zB wichtig möglichst große Fensterflächen zu errichten, offene Fassadenfronten. Die Beheizung ist sehr energieintensiv und im Sommer muss gekühlt werden. Das verbraucht dann so richtig viel Energie. Jetzt geht man wieder zurück, plant kleinere Fenster mit Beschattung durch Holzbalken an der Fassade. Nicht alles was es schon gab war schlecht. Altes bewahren und verbessern wäre eine gute Lösung.
Eine sinnvolle Lebensführung in der wir uns gesunde Ziele setzen wie Zufriedenheit. Das ist sexy. Damit auch gegenseitige Wertschätzung wieder stärker an Bedeutung gewinnt. Das Leben ist kein Wettbewerb mit dem Ziel maximaler Anhäufung von materiellem Kram. Sondern Zeit, Genuss und Zufriedenheit sind wohl die höchsten Besitztümer und beuten wahren Reichtum. Dieses neue Wertebewusstsein ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die jetzt besonders brisant ist.