Coca ist eine heilige Pflanze: die Inkas opferten Cocablätter und nützten sie für ihre Rituale zu Ehren von Pachamama, Mutter Erde. Noch heute werden in den Anden Cocablätter für rituelle Zwecke verwendet und das Kauen von Cocablättern ist ein wunderbares Naturmittel, um der Höhenkrankheit vorzubeugen. Ich habe in Ecuador Cocatee getrunken, um sicher und in voller Konzentration auf beinahe 6.000 Meter hinaufzusteigen – anstatt den Geist zu vernebeln öffnet Cocatee das Bewusstsein und schenkt einem geistige Klarheit. In den Andenmärkten Perus und Boliviens türmen sich Berge von Cocablättern und werden zum Kauf angeboten, doch in den vergangenen Jahrzehnten wurde Coca in der westlichen Welt auch zur Herstellung von Kokain genützt. Die Wunderdroge hat in die Führungsetagen der Wirtschaft und Politik Einzug gehalten, um mit dessen Unterstützung den Auswüchsen des kapitalistischen Wirtschaftssystem besser begegnen zu können. Anstatt das System an der Wurzel zu ändern, hat sich die USA für eine Symptombekämpfung entschieden. Die US-Antidrogeneinheit DEA bekämpft nicht nur die Verarbeitung und den Handel dieser Droge sondern zunehmend auch den Anbau der heiligen Cocapflanze, indem die Cocafelder aus der Luft mit giftigen Chemikalien besprüht werden, um die Ernte zu vernichten, oder indem die Cocabauern tyrannisiert und militärisch eingeschüchtert werden.
Bis 2005 wurde im ganzen Tal von San Ramon, unweit der Stadt Juanjui im Amazonasgebiet Perus, Coca angebaut, um es schließlich zu Kokain weiterzuverarbeiten. Die Bauern hatten dadurch zwar ein besseres Einkommen und konnten langsam der weit verbreiteten Armut entgehen; doch sie litten auch unter den militärischen Repressionen der nationalen und ausländischen Antidrogeneinheiten. Die Militärs verschleppten die Bauern und die Familienväter verschwanden in Gefängnissen.
In diesem brutalen Umfeld hatte der Bauer Ramiro Castillo bereits 1995 eine Vision: "Kakao statt Kokain" war sein Traum. Er gründete in der Provinz San Martin die Kakaokooperative ACOPAGRO. Die Begeisterung und die Herzensliebe stellte er in das Zentrum von Acopagro und der zentrale Slogan wurde "Acopagro hilft dir, deine Träume zu leben." Von Anfang an war die Kooperative viel mehr als eine Genossenschaft, die Kakao vermarktet; sie war vielmehr von der Lebensfreude getragen. Das hat sich bis heute nicht geändert, obwohl ihr mittlerweile über 2.000 Bauern angehören – der Cocaanbau ging dadurch in der Region um 90% zurück und ist jedes Jahr weiter rückläufig! Ramiro arbeitet weiterhin als Kakaobauer in der Kooperative und übertrug die Führung an Don Gonzalo. Dieser leitet Acopagro seit nunmehr 17 Jahren und ist mit seinen 45 Jahren der älteste Mitarbeiter in der Geschäftsführungsabteilung. Die meisten Mitarbeiter sind jung; womit gewährleistet ist, dass die Kooperative offen für Veränderungen ist und mit dem neuen Zeitgeist geht.
Acopagro arbeitet daran, die Lebensbedingungen der Genossenschaftsmitglieder zu verbessern: sei es in dem ihre Wohnsituation gemütlicher gestaltet wird, sei es die Unterstützung bei der Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse von Wasserversorgung, Abwasser und Gesundheitsvorsorge. Darüber hinaus wird die Schulbildung der Kinder gewährleistet.
Zu Beginn verkaufte die Kooperative 50 Tonnen Kakaobohnen pro Jahr, heute sind es 5200 Tonnen. Die Ware geht vor allem in die Schweiz, nach Deutschland, Italien, Frankreich, Österreich in die USA und nach Australien. Acopagro ist bereits der zweitgrößte Kakaoexporteur Perus und die Vision von Don Ramiro ist es, die Weltspitze bei der Qualität der Kakaobohnen zu erlangen. Heute liegt die Kooperative weltweit bereits an der fünften Stelle. Deswegen haben sie nun eine spezielle Technik der Fermentierung ausgearbeitet mit deren Hilfe sie den Säuregehalt des Kakaos auf 1 % reduzieren können. Don Ramiro hat bereits 1992, noch vor der Gründung von Acopagro, seine 2 Hektar große Kakaoparzelle am Rande des Nationalparks Rio Abiseo auf Biolandbau umgestellt. Das Wildnisgebiet des Nationalparks schafft in der Gegend für den Kakaoanbau ein perfektes Mikroklima in einer wunderbaren Ausgewogenheit von Regenfällen und Sonnenschein. Ramiro meint, Kakao komme wunderbar ohne Chemie aus; vielmehr gelte es die Bestäubung der Kakaobäume durch Bienen und Ameisen zu fördern.
Der gerechte Handel ist eine große Unterstützung für die Kleinbauern; erhält die Kooperative doch eine Fairtradeprämie von 200 USD pro Tonne verkauftem Kakao. Damit wird die Zertifizierung für den Biolandbau bezahlt, werden technische Fortbildungskurse angeboten und erhalten die Bauern eine soziale Hilfestellung für die Ausbildung der Kinder und für die medizinische Versorgung (wie z.B. Brillen für sehbehinderte Bauern). Außerdem vergibt die Kooperative Mikrokredite in der Höhe von 100 bis 3.000 USD. Die Prämie für biologischen Krämie wird im Gegensatz zum Fairtradezuschuss direkt an die Bauern ausbezahlt.
Don Ramiro hat auf seiner Parzelle vor allem Kakao der Sorte CCN 51 (der ecuadorianische Klon aus Forastero und Crillokakao) angepflanzt. Der Mutterstamm ist resistent gegen Hitze und Schädlinge und darauf werden Zweige von ganz besonders aromatischen Kakaosorten gesetzt. Dadurch wird das Aroma des Kakaos ständig verbessert. Weil dessen Kakaobohnen einen hohen Säuregehalt aufweisen müssen sie 7 bis 8 Tage fermentiert werden, um diesen auf 1% zu reduzieren. Bei der Fermentierung verliert der Kakao an Aromastoffen und daher ist Don Ramiro bestrebt möglichst aromatischen Kakao anzupflanzen. Wir spazieren durch seinen Kakaogarten und immer wieder erntet er eine der frischen Kakaofrüchte und lässt Michael und mich kosten. Die einen schmecken nach saftigen Zitronen, die andere nach Orangen, Weintrauben oder Nüssen und wieder andere haben einen ganz besonderen fruchtigen Geschmack, der mit Worten nicht mehr zu beschreiben ist. Don Ramiros Kakaobohnen sind ein Kunstwerk!
Er zeigt uns die Fermentierung: zusammen mit der weißen Kakaopulpe (auch Plazenta genannt) werden die Kakaobohnen in einer großen Holzkiste fermentiert. Innerhalb der ersten 48 Stunden steigt die Temperatur in der Kiste auf 33 Grad Celsius an und die Bakterien verwandeln den Zucker in Alkohol, der die Temperatur weiter erhöht. Danach werden die Bohnen in eine zweite Box umgeschichtet, um sie neu durchzumischen. In dieser Holzbox verbleiben sie 24 Stunden und die Temperatur steigt auf 43 Grad Celsius wobei der Essig in Alkohol umgewandelt wird. Auf der 1. bis 3. Holzbox ist jeweils ein Jutesack, um zu verhindern dass zu viel Wärme entweicht. In der dritten Box verweilen die Kakaobohnen weitere 24 Stunden wobei die Temperatur auf 48 Grad Celsius steigt. In der vierten Box erhöht sich die Temperatur auf 49 bis 51 Grad Celsius, wobei der Jutesack entfernt wird, sodass die Säure entweichen kann. Danach werden die Kakaobohnen nochmals in die fünfte, sechste und siebte Box umgeschichtet wo sie jeweils weitere 24 Stunden verweilen. Die Temperatur sinkt dabei wieder auf 45 Grad Celsius. Zu Beginn der Fermentierung waren die Kakaobohnen violett, nun haben sie eine hellbraune Farbe bekommen.
Nach der Fermentierung werden die Bohnen für 5 bis 6 Tage zum Trockenen aufgelegt, um den Feuchtigkeitsgehalt auf 6 bis 7% zu reduzieren. Danach werden die Kakaobohnen ins Zentrallager in Juanjui geliefert und dort vor dem Export noch einmal eingehend auf die Qualität geprüft.
Zum Abschluss der Führung serviert uns Don Ramiro eine Tasse heiße Schokolade; allerdings ohne Milch, nur mit Wasser, wie sie bereits die Mayas getrunken haben. Ramiro hat die Kakaobohnen über dem Feuer bei ganz niedrigen Temperaturen geröstet und anschließend mit der Hand vermahlen. Die Schokolade schmeckt himmlisch und ich spüre, dass Don Ramiro darin all seine Träume und seine Liebe zum Kakao verarbeitet hat. Er lächelt als ich ihm das sage ...