Simone und ich reisten mit dem Zug nach Frankreich. Zuerst nahmen wir den Nachtzug nach Zürich und wurden, als wir kurz vor Mitternacht in den Wagon einstiegen, sogleich herzlich von Herrn Lama, unserem Liegewagenschaffner willkommen geheißen. Ich habe wohl schon über hundert Reisen im Nachtzug gemacht, aber einem so netten Liegewagenschaffner bin ich noch nie begegnet! Nach einer gemütlichen Nachtruhe weckte er uns alle mit einem herzlichen „Guten Moooorgen!“ und servierte uns ein köstliches Frühstück ans Bett während unser Zug den malerischen Zürichsee entlang rollte. Feine Nebelschwaden zogen über den See und ab und zu erhellte die Sonne die Landschaft am Ufer.
Nach mehrmaligem Umsteigen und einer durchaus erholsamen Zugfahrt erreichten wir schließlich den Ostbahnhof in Paris. Es war ein besonderes Gefühl auf den Bahnhofsvorplatz hinaus zu spazieren. Es herrschte eine Geschäftigkeit, Menschen und Autos waren kreuz und quer unterwegs und doch war es erstaunlich ruhig, fast still. So blieben wir einige Minuten stehen, ließen die Stadt, ihre Menschen und die Stille auf uns wirken und traten dann in das Pariser Leben hinein. Ohne einem Plan zu folgen gingen wir entlang breiter Prunkstraßen, schmaler Gassen mit schmucken Läden, bunten Obstständen und netten Caféhäusern. Die Menschen saßen auf Korbsesseln bei einem Café au Lait, gestikulierten und schienen das Leben zu genießen. Es war als ob sich die ganze Welt in der Stadt versammelt hatte. Ein Schmelztiegel zahlloser Nationen, aller Hautfarben machte die Stadt so richtig bunt.
Als uns ein plötzlicher Regenguss unter ein geschütztes Vordach flüchten ließ, blickten wir auf einen großen Fernseher im gegenüberliegenden Restaurant und kaum kamen wir zu stehen, lief gerade die neueste Nachricht vom Marathonweltrekord in Berlin über den Bildschirm, gerade mal 2 Stunden und 3 Minuten. Der Bursche flog richtiggehend ins Ziel... ja und es war als ob es nur geregnet hätte, dass wir eben diese Bilder im Fernsehen sehen sollten, denn auf einmal war der Regenschauer auch schon wieder vorbeigezogen und wir spazierten weiter, die Seine entlang bis zum Eiffelturm. Es war mittlerweile dunkel geworden und viele bunte Lichter erhellten Paris. Ein Akkordeonspieler in einem Straßencafé, vorbeifahrende Schiffe an der Seine, ein Lachen aus einer Seitengasse und immer wieder der melodische Klang der französischen Sprache begleiteten uns zurück zum Bahnhof.
Am Morgen reisten wir mit dem ersten Zug in die Champagne und hatten dann noch 30 Kilometer Fußweg bis zum Champagnerbetrieb von Monsieur Fleury. Endlos weite Felde erstreckten sich vor uns und wir wanderten zügigen Schrittes los. Das war auch gut so, denn die schnurgerade Straße schien endlos zu sein. Nach zwei Stunden des Gehens hielt ein älterer, wohlbeleibter Herr in einem klapprigen Auto. Zuvor hatte er bereits durch ein kurzes, intensives Hupkonzert auf sich aufmerksam gemacht. Er wollte wissen wohin wir des Weges waren und meinte er könne uns ein paar Kilometer mitnehmen. So verstaute er unsere Rucksäcke im Kofferraum, schloss diesen mit Schnellspannern, räumte dann allmöglichen Klimbim von der Rückbank zur Seite, um mit ein kleines Plätzchen freizumachen und bot dann Simone, die neben ihm am Vordersitz Platz genommen hatte, ein Zigarre an. Er entschuldigte sich für den miserablen Zustand seines Autos und meinte er würde es nur für die Jagd benützen. Und schon begann er sich in Geschichten von Wildschweinen und Rehböcken zu verlieren, fragte uns immer wieder über dies uns jenes und stellte unsere Französischkenntnisse mit seinem wilden Dialekt ganz schön auf die Probe. Nicht nur einmal schauten sich Simone und ich ratlos an und antworteten dann mit einem verstohlenen „Oui, oui!“ Nun er hatte trotzdem seine Freude mit uns.
Eine Weile und einige Geschichten später stiegen wir wieder aus und flogen dann beflügelt von dem unerwarteten „Jägertaxi“ durch die Weingärten, in ein kleines Dorf namens Courteron, malerisch am Ufer des Oberlaufs der Seine gelegen. Dort bewirtschaftet die Familie Fleury auf 15 Hektar einen biodynamischen Weingarten. Seit 1895 produzieren sie erlesenen Champagner, der bis nach Japan, Brasilien, Australien, Martinique, in die USA und eben auch an die Zotter Schokoladenmanufaktur exportiert wird.
Als wir die Hauptstraße im Ort entlang spazierten, begegneten wir gleich Jean-Pierre Fleury, dem Seniorchef. Er hieß uns herzlich willkommen und wollte sogleich wissen wie wir denn nach Courteron gekommen wären? Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als wir ihm von unserem Spaziergang durch die Weingärten erzählt hatten, und er meinte wir sollten doch gleich mal ins Presshaus hinauf spazieren und uns mit einem köstlichen Glas frischgepressten Trauensaft stärken. Er gönne sich nun seine Mittagsruhe und käme dann später vorbei. Die Weinernte sei bereits voll im Gang und es gäbe viel zu sehen und zu entdecken!
Im Presshaus, das von drei Bioweinbauern gemeinschaftlich betrieben wird, trafen wir Jean-Sébastien und Benoît, die in vierter Generation den Champagnerbetrieb Fleury weiterführen. Jean-Sébastien hatte eingeführt, dass die Weingärten mit Pferden anstatt Traktoren bewirtschaftet werden, er lässt auch seit einigen Jahren die ganz besonderen Jahrgangschampagner in riesigen 6.000 Liter großen Eichenfässern lagern und produziert erstmals Champagner ohne Schwefelzugabe. Benoît achtet auf die gesunde Böden im Weingarten und war an diesem Nachmittag damit beschäftigt, die beiden riesigen hölzenen Weinpressen zu bedienen. Dutzende Kisten voller frischer Weintrauben wurden händisch in die Presse gekippt und war diese erst einmal bis zum Rand gefüllt konnte sie in Aktion treten. Köstlicher frischer Traubensaft floss in die großen Edelstahltanks im Weinkeller und Monsieur Jean-Pierre Fleury, meinte, als er von seinem Mittagsschläfchen zurückgekehrt war, es wäre heuer ein ausgezeichneter Jahrgang. Der Traubensaft hätte eine wunderbare Säure und so könne man einen herrlichen Jahrgangschampagner – les Millésimes - herstellen. Jedes Jahr werden 200.000 Flaschen Champagner erzeugt und fast ebenso viele verkauft, während im Keller bereits über eine Million Champagnerflaschen lagern.
Jean-Pierre Fleury hatte den elterlichen Betrieb 1962 übernommen – in jenem Jahr als Rachel Carsons weltberühmtes Sachbuch "Silent spring" erstmals auf die Problematik des Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft und die daraus resultierenden Gefahren hingewiesen hatte. Sie meinte die chemischen Spritzmittel töten nicht nur vermeintliche Schädlinge sondern das Leben an sich und hatte davor gewarnt wenn dieser unkontrollierte Gifteinsatz weiterginge, es in Zukunft still wäre wenn der Frühling ins Land ziehe, weil alle Vögel verendet wären. Als Konsequenz auf den Welterfolg des Buches wurde viele besonders giftige Chemikalien verboten, was dazu beitrug, dass uns die Singvögel nach wie vor den Frühling ankündigen.
Jean-Pierre war in seiner Kindheit bereits durch die Weingärten spaziert und es fiel ihm der Gestank auf nachdem sein Vater die Pestizide ausgebracht hatte, auch war ihm von den Dämpfen schwindlig geworden. Als er schließlich die Verantwortung für den Weinbau übernehmen durfte, stellte er nach und nach auf Biolandwirtschaft um. Alle Kollegen im Ort lachten ihn aus und hielten ihn für einen Spinner, weil er sich gegen den "Fortschritt" stellte, doch Jean-Pierre konnte nicht anders wirtschaften. Ich fragte ihn ob er in der Schule vom Biolandbau gelernt hatte und Jean-Pierre lachte nur: "In der Schule? Niemals, die Lehrer waren ja alle vom Giftspritzen überzeugt. Nein, dort habe ich es nicht gelernt. Es war vielmehr mein "Biogen", das mich dazu veranlasste - das Wissen wohnt wohl in mir selbst." Bereits in den 1970er Jahren arbeitete er mit den Erkenntnissen von Rudolf Steiner, der biodynamischen Landwirtschaft, und 1989 ließ er dann den ganzen Weinbaubetrieb biodynamisch zertifizieren – Jean-Pierre Fleury war somit der erste Champagnerhersteller der Welt, der biodynamisch wirtschaftete. (Detailliertes Hintergrundwissen zum biodynamischen Landbau finden Sie im Bericht "Umathum" der Zotterweltreise.)
Die Weinernte war ein Fest! Im Weingarten wurde jede Traube von Hand gepflückt, dann in großen Kisten ins Presshaus transportiert. Jean-Pierre Fleury presst die Trauben nur in einer traditionellen, mechanischen und in keiner maschinellen Weinpresse weil er meinte, es mache einen Unterschied dass der Champagner händisch erzeugt wird. Genauso vertraut er darauf, die besten Jahrgangschampagner im Keller mehrmals täglich nur von Hand zu drehen, weil es eben anders sei als die gleiche Tätigkeit von einer Maschine ausführen zu lassen. "Warum?" frage ich ihn und Jean-Pierre lächelt nur. Er zuckt mit den Schultern und meint, er könne es mir nicht erklären aber für ihn wäre das eben eine Gewissheit: "Alles ist Schwingung."
"Alles ist Schwingung" dieser Satz gefiel mir und ließ auch die Arbeit im Presshaus zum Leben erwachen. Ja sie wurde immer lebendiger je weiter die Stunde fortschritt. Als die Arbeiter vom Feld ins Presshaus zurückkehrten, wurden einige Flaschen vom köstlichen Roséchampagner geöffnet, jeder Arbeiter trank Champagner und es schien einen endlosen Vorrat an stets neuen Flaschen zu geben. Nach einem gemeinsamen Umtrunk bei dem Geschichten ausgetauscht wurden und jeder dem anderen zuprostete formierten sich wieder kleine Gruppen und die Arbeit ging weiter: Presse beladen, pressen, den Presskuchen in ein große Kiste schaufeln – was für eine anstrengende Arbeit hatte ich doch fünf Minuten lang mitgeschaufelt und es selbst gespürt –, Presse reinigen und wieder beladen; oder für den ganz besonderen Roséchampagner alle Trauben aussortieren und nur die besten verwenden, die Stängel entfernen und dann pressen. Es war immer etwas zu tun und es schien dass jeder Arbeiter aller Arbeitsschritte beherrschte. Jeder arbeitete bedächtig, ohne Stress und doch effizient, weil jeder Handgriff perfekt war. Es gab auch keine Hierarchie. Jean-Pierre und Jean-Sébastien Fleury arbeiteten genauso mit wie alle anderen, sie waren beim Stapler fahren, Presse reinigen und Trauben aussortieren genauso zu beobachten wie beim Champagner trinken mit den Arbeitern. Sauberkeit und Ästhetik prägten den Arbeitsablauf und es war allen ein Anliegen, die Arbeit gut und bewusst zu erledigen. Das alles trägt wohl dazu bei, dass Fleury Champagner so gut schmeckt und auch der Traubensaft war königlich – vor allem jener für den Roséchampagner. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie einen so wohlschmeckenden, süßen Traubensaft getrunken!
Und Zotter? In der Marc de Champagne Schokolade wird kein Champagner sondern Marc de Champagne verwendet. Dabei handelt es sich um ein Destillat, das aus dem Presskuchen gewonnen wird und daraus wird ein hochprozentiger (61%iger) Alkohol gewonnen. Ein Freund von Jean-Pierre Fleury destilliert das Marc de Champagne im Nachbarort. Zotter verarbeitet jedes Jahr 1.000 Liter Marc de Champagne in seinen Schokoladen.
Als es bereits zehn Uhr abends war lud uns Jean-Pierre Fleury zum Abendessen in der nahegelegenen Gîte d'Étappe ein. Sie wird von einer polnischen Familie betrieben. Die Familie kam vor vielen Jahren zur Erntehilfe, um bei Fleury mitzuhelfen und sie blieben. Die Tochter verliebte sich in Jean-Sébastien und zusammen haben die beiden ein Tochter: die kleine Rosalia. Sie wird wohl irgendwann den Familienbetrieb Fleury weiterführen, ab diesem Zeitpunkt halt ein französisch-polnisches Traditionshaus! Bei Wein und Käse saßen wir noch bis spät abends beisammen. An was ich mich von diesem Abend erinnere sind die leuchtenden Augen und die sanfte Stimme von Monsieur Fleury ... und so schliefen wir nach dem so besonderen Weinerntefest alle selig ein!
Am nächsten Tag waren Simone und ich noch bei der Ernte im Weingarten mit dabei, Jean-Pierre führte uns durch den Champagnerkeller und dann stiegen wir am Abend in den Bus zum Bahnhof. Gerade als der Bus anrollte kam noch ein Erntearbeiter vorbei und fragte mich wo er denn von unserer Reise nachlesen könnte und so schenkte ich ihm eine Tafel Zotterschokolade, denn auf der Verpackung steht die Homepage. Freudestrahlend spazierte er weiter! Zum Glück hatte ich wohl an die sechs Kilo Zotterschokolade im Rucksack mit dabei, denn Simone und ich verteilten unzählige Tafeln Schokolade. Die Arbeiter und die Familie Fleury freuten sich von ganzem Herzen und immer wieder begegneten wir in diesen Tagen den Arbeitern wie sie gerade Zotterschoki untereinander teilten oder selig ein Stück Marc de Champagne Schokolade im Mund zergehen ließen.
Was für eine Freude und was für ein Fest. Das Leben ist doch gesegnet mit Fülle!
Weitere Informationen zum Champagnerhersteller Fleury finden Sie unter: www.champagne-fleury.fr
Erfahren Sie mehr über die Zotter-Weltreise und Gregor Sieböck!