Es gibt sie noch, die knorrigen Kakaobäume inmitten der Urwaldriesen des Regenwaldes, die Kakaobauern, die nicht nur dem Ertrag der Bäume nachlaufen, sondern vor allem Spitzenkakao in außergewöhnlicher Qualität herstellen und daneben noch eine große Fläche ihres Anbaugebietes einfach unberührt lassen, sodass seltene Tierarten auch ihren Lebensraum haben. Und weil es mir auf meiner Schokoladeweltreise vor allem darum ging, herauszufinden mit welchem Bewusstsein die Biobauern Landwirtschaft betreiben und ihr persönliches Leben gestalten war es natürlich spannend gerade diese Kakaobauern kennenzulernen. Es geht ihnen primär um ein Leben im Rhythmus mit der Erde, um ein glückliches Leben jenseits wirtschaftlicher Ertragszahlen und um Lebensfreude...das fand ich spannend und somit bestand auch gar kein Zweifel ob ich die Mühen der Reise in Kauf nehmen sollte oder nicht. Der Weg nach Tingo Maria ist nämlich alles andere als einfach. Bis vor wenigen Jahren war die Region südlich von Tarapoto bis Tingo Maria eines der Hauptanbaugebiete Perus für Coca. Der Lonely Planet Reiseführer rät immer noch von Reisen in dem Gebiet ab und hat abgesehen von diesem Warnhinweis keinen einzigen Eintrag was einem auf dieser Route erwartet: außer: es ist gefährlich und daher besser die Strecke im Flugzeug zu durchqueren. Michael und ich bevorzugten aber den Landweg nach Tingo Maria. Zwischen Juanjui und Tocache, in den blauen Bergen, war es gefühlt am gefährlichsten. Dort gibt es immer noch Bürgerwehren, die mit Gewehren auf der Straße stehen und den Verkehr kontrollieren.
Es sind Dorfbewohner, die für die Sicherheit der Straße zuständig sind und jedes Auto anhalten. Dabei erhalten sie vom Lenker meist einen kleinen Obolus und dieser kann dann weiterfahren. Seit es die Bürgerwehren gibt sind die Überfälle auf der Strecke rückläufig; aber niemand kann einem garantieren ob die Wegelagerer nicht trotzdem in den Bergen auf einen lauern. Sie greifen meist blitzschnell an, warten hinter einer unübersichtlichen Kurve, stoppen das Auto, machen den Raubüberfall und verschwinden dann so schnell wie sie gekommen sind wieder im Urwald. Nun, um es kurz zu machen, es ist uns nichts passiert und wir haben es gut nach Tingo Maria geschafft und sind dann auch wieder gut weitergereist; wobei in diesem Fall eine weitere Hürde auf einen wartete: denn nach Tingo Maria geht es ins Andenhochland und man fährt in gerade mal fünf Stunden von 670 auf 4.500 Höhenmeter hinauf ... doch auch diese Herausforderung haben Michael und ich gut geschafft ... denn viele Grenzen sind im Kopf und wie sagt Henry Ford es so schön: „Ob du glaubst du schaffst es, oder ob du glaubst du schaffst es nicht, du hast immer recht.“ Aber nun wirklich zu den Kakaobauern von Tingo Maria ...
Die älteste Kooperative Perus, Naranjillo, hat 3.500 Genossenschaftsmitglieder und erzeugt im Kraftfeld der Anden und des Amazonastieflandes Biokakao und Biokaffee. Vilsic, der Chef der Kooperative, hatte uns eingeladen. Wir haben uns auf der Biofachmesse in Nürnberg kennengelernt und Vilsic meinte: "Komme doch vorbei. Unsere Kakaobäume wachsen inmitten der Urwälder und ich möchte dir gerne die Schätze des Amazonas zeigen." Gesagt getan.
Als Michael und ich in Tingo Maria ankamen war im Innenhof von der Naranjillokooperative gerade ein großes Fest in Gang. Vilsic begrüßte uns freudestrahlend und meinte: "Feiert mit uns! Es gibt zu essen, zu trinken, fühlt euch wie zu Hause."Nachdem wir ein Stück Schokoladekuchen und ein Glas Sekt genossen hatten, erzählte uns Vilsic von Naranjillo und seinen Träumen: "Naranjillo besteht seit 50 Jahren, doch 2013 war ein richtiges Krisenjahr. Zu Beginn des Jahres hatten wir 5.000 Genossenschaftsmitglieder, am Ende des Jahres waren es nur mehr 3.500. Viele von ihnen waren frühere Cocabauern und wollten einfach nur schnell Gewinne erzielen; doch wir bemerkten dass sie die Philosophie von Naranjillo, nämlich Biokakao in Spitzenqualität zu erzeugen, nicht mittragen wollten. Zur gleichen Zeit begann ich damit, den Kakaobauern verständlich zu machen was für einen großen Schatz die alten Kakaobäume darstellen und dass es schade wäre, sie durch moderne Züchtungen zu ersetzen. Klar haben Cacao nativo Bäume nur einen Ertrag von maximal der Hälfte der neuen Sorten wie z.B. CCN 51 (dabei handelt es sich um eine spezielle Kreuzung zwischen Criollo und Forasterobohnen, die von Homero Castro, einem findigen Kakaobauern in Ecuador gezüchtet wurde und die sich seither in ganz Südamerika ausbreitet.) aber der Geschmack der Kakaobohnen...!" Vilsic kam in Schwärmen und seine Augen begannen zu leuchten ... er fuhr fort: "und außerdem geht es um viel mehr als nur um Ertrag es geht um ein Leben im Rhythmus der Erde und der Natur. Morgen zeige ich euch die Urwaldbäume...wir machen zusammen einen Ausflug ... ihr werdet staunen!"
Das Fest war in vollem Gange und die Naranjillomitarbeiter feierten den Durchbruch, dass die Kooperative das Krisenjahr überstanden hatte und nun gestärkt in die Zukunft blicken konnte. Vilsic berichtete auch von einige Neuerungen, die er eingeführt hatte: es gab nun seit einigen Wochen eine kostenlose medizinische Betreuung für alle Kooperativenmitglieder. Außerdem war er gerade dabei, einen Laden für die Genossenschaftsmitglieder einzurichten, in dem diese biologische Düngemittel und auch Produkte des täglichen Bedarfs kostengünstig einkaufen konnten. Die Kooperative erwarb größere Mengen an Grundnahrungsmittel und gab diese genauso wie eine Foodcoop an die Mitglieder vergünstigt weiter.
Michael und ich quartierten uns in einer Urwaldlodge am Stadtrand von Tingo Maria ein und erholten uns erst einmal von den Strapazen der Reise. Im Garten rund um unsere Hütte konnten wir Berghasen beobachten, Affen hüpften in den Bäumen von Ast zu Ast und bunte Papageien verzauberten uns mit ihrem Anblick. Wir genossen ein herrliches Abendessen mit Yuca (ähnlich wie Maniok), Kochbananen und frischen Tomaten. Dazu gab es frischgepressten Maracuya- und Ananassaft – wir lebten im Paradies! Gut erholt starteten wir im nächsten Tag zusammen mit Vilsic zu den Kakaobauern in den Urwald.
Don César hat nur mehr einen Zahn; er ist älter wie seine Kakaobäume, die er vor 60 Jahren angesetzt hat. Er hat die Setzlinge aus dem Urwald und von den Flussufern zusammensammelt und in seiner Parzelle wieder angepflanzt. Wenn er vor den Bäumen steht beginnen seine Augen zu leuchten und er freut sich über die Geschenke der Erde: die bunten Kakaofrüchte, die in den Bäumen hängen! Zwischen den Bäumen suchen die Hühner nach Futter und genießen ihr Leben in Freiheit! Don César liebt Schokolade. Er macht alles selbst, die Ernte, das Fermentieren der Kakaobohnen, die er ob des geringen Säuregehaltes nur 2 – 4 Tage fermentiert, um dadurch auch ihre nussigen Aromen zu erhalten, das Trocknen und das Schokolade machen. "Meine Schokolade ist wunderbar. Sie hat ein herrliches Aroma und sehr viel Fett. Wenn ich nach Lima reise ist es dort bedeutend kühler als hier im Urwald aber ich ziehe auch dort keine Jacke an, weil mich das Fett der Schokolade von Innen heraus wärmt." Ein Anflug von einem Lächeln ist in sein Gesicht gezaubert wenn er von seinen Kakaobäumen erzählt. Er bleibt bei einem der Bäume stehen und hält seine Hand sanft auf einer reife Kakaofrucht. Ohne ein Wort zu sagen verweilt er und es scheint als würde Don César mit dem Baum reden – Stille...ja es ist ein heiliger Augenblick! Selten habe ich einen Bauern kennengelernt, der so mit seinen Bäumen und der Natur verbunden ist.
Dann blickt Don César in den Himmel, verweilt wieder, schaut, spricht kein Wort – Stille. Erde – Mensch – Kosmos: da gibt es eine Verbundenheit, ein Eins Sein von dem Don César weiß, nach dem er lebt, aber von dem er nicht spricht. Der Abschied ist herzlich, wir schauen uns in die Augen, ein "Adíos y que le vaya muy bien" und dann wandern wir weiter und besuchen seinen Nachbarn: Santiago. Seine Kakaobäume wachsen unter den Urwaldriesen. Die Parzelle ist gerade einmal 2 Hektar groß und ist innerhalb der Grenzen des Nationalparks von Tingo Maria. Seine Kakaobäume wachsen weit verstreut im Urwald. Santiago braucht keine Vorschriften wie er innerhalb des Nationalparks Landwirtschaft betreiben darf, denn er ist Teil des Waldes und der Natur. Er spricht noch weniger als Don César, trägt ein braungrünes Hemd und passt sich somit perfekt der Pflanzenwelt an. Santiago lebt eine perfekte Symbiose von Mensch und Natur und hat inmitten seiner Parzelle eine kleines Holzhäuschen, in dem er wohnt. Selbst dieses ist wunderbar in die Natur integriert und hebt sich kaum von der Umgebung ab. Santiago ist ein Teil des Urwaldes – alles ist Eins; eine Einheit wie ich sie bei einem Bauern noch nie gesehen habe!
Don Lucho hat seine 14 Hektar große Parzelle am Stadtrand von Tingo Maria. Diese bewirtschaftet er zusammen mit Paula, seiner Mutter. Paula nimmt ihm viel Arbeit ab weil Luis nebenbei auch noch in der Geschäftsführung von Naranjillo tätig ist. Gemeinsam betreiben sie einen Familienbetrieb, der aber über ihre Familie weit hinausgeht, denn auch sie schließen die Natur in ihre Arbeit ein. Zur Familie gehören auch die wildlebenden Titi- und die Frailecitoaffen für die Lucho und Paula vier Hektar ihres Grundstückes unbewirtschaftet und in Wildnis belassen. Die restlichen 10 Hektar bewirtschaften sie in Form eines "Sistemas agroforestal" - eine Symbiose aus Landwirtschaft und Urwald. Die Kakaobäume wachsen wieder inmitten des Urwaldes und ein Hektar ihres Grundstückes dient der Forschungsarbeit. Hier haben sie die modernen CCN 51 Kakaobäume angepflanzt und finden heraus wie viel Kadmium die Bäume aufnehmen. Die Wurzeln der sehr ertragreichen CCN 51-Bäume reichen viel tiefer in die Erde als die Wurzeln der nativen Kakaobäume und ziehen daher viel mehr Kadmium aus dem Boden, das sich in der Folge in den Kakaobohnen anreichert.
Der Cacao nativo oder Cacao criollo hat eine Hektarertrag von 700 bis 800 Kilogramm, im Gegensatz zu den bis zu 2,5 Tonnen für die CCN51 Bäume. Wenn der Bauer die Bäume gut pflegt, darauf achtet und darauf achtet, dass der Wald ausreichend durchlüftet ist, um Krankheiten (Krankheiten, die den Kakaobaum befallen sind die Hexenbesenkrankheit (escobar de bruja), die Monilia und die Pudricíon Parda (Marrón). Die Hexenbesenkrankheit breitet sich von den Blätter des Kakaobaums über die Äste bis zum Stamm aus und kann den ganzen Baum abtöten, wenn die befallenen Zweige nicht rechtzeitig abgschnitten werden. Die Monilia ist eine Pilzkrankheit, die ein weißes Pulver über die Kakaofrüchte zieht und die Pudricíon Parda greift auch die Früchte an, sodass diese braun werden und absterben. Allen diesen Krankheiten kann auf natürlichem Weg vorgebeugt werden: indem die Bäume regelmäßig kontrolliert werden und befallene Äste oder Früchte abgeschnitten werden und indem genügend Luftzirkulation im Kakaowald herrscht, sprich die Kakaobäume nicht zu eng aneinander gepflanzt sind. ) vorzubeugen, dann kann der Ertrag der nativen Kakaobäume in Ausnahmefällen auf eine Tonne pro Hektar erhöht werden. Aber dann ist Schluss. Für die Kakaobohnen erzielt der Bauern dann einen um ca. 30 % höheren Preis (400 bis 500 USD mehr pro Tonne), doch dieser Mehrwert gleicht den Verlust, der aus dem niedrigeren Ertrag erwächst nicht aus. Aus diesem Grund gibt es einige Bauern, die alte Kakaobäume umsägen und durch die CCN 51 Bäume ersetzen. Vilsic, der Chef von Naranjillo, hat diesen Prozess im Jahr 2013 gestoppt und es sich zum obersten Ziel seiner Arbeit gesetzt, diese Bäume und die Urwaldplantagen zu bewahren. Er arbeitet mit Abnehmern wie Josef Zotter zusammen, die bereit sind, für die Kakaobohnen der Urwaldbäume mehr Geld zu bezahlen; um den Bauern die ertragsfokusiert sind einen Anreiz zu geben, diese nicht umzusägen. Don César, Santiago und Lucho würden ihre Bäume sowieso nie umschneiden, da sie eine ganz andere Ausrichtung in ihrem Leben haben. Lucho erzählt mir voller Freude, dass er einmal mit dem Flugzeug in Tingo Maria gelandet sei und dabei festgestellt hat, dass sein Urwald der einzig große grüne Flecken Land in den Vororten von Tingo Maria ist – und das wird auch so bleiben! Denn das ist viel mehr wert als ein höherer Ertrag!